Informationen rund um die Allergen-Immuntherapie, früher auch Hyposensibilisierung genannt.

Allergen-Immuntherapie (AIT) 

Allergen-Immuntherapie

Mehr Wissen für Sie

Die Allergen-Immuntherapie (AIT), früher auch Hyposensibilisierung oder Desensibilisierung genannt, ist die einzige Therapieoption, die an der Ursache von IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen ansetzt. 

Als kausal modulierende Therapie ist sie wirksam und verträglich bei allergischer Rhinitis, allergischem Asthma und Insektengiftallergien. Durch die Gabe von in der Regel allmählich ansteigenden Dosen des Allergenextraktes wird die immunologische Antwort auf das Allergen modifiziert. 

So werden spezifische blockierende Antikörper, toleranzinduzierende Zellen und Botenstoffe aktiviert, die eine weitere Verstärkung der durch Allergene ausgelösten Immunantwort verhindern, die spezifische Immunantwort blockieren und die Entzündungsreaktion im Gewebe dämpfen. 

Vergleich zur antisymptomatischen Therapie

Eine auf Meta-Analysen basierende Untersuchung der Wirksamkeit der SCIT (subkutane Immuntherapie) im  Vergleich zur symptomatischen Therapie ergab eine "indirekte aber konsistente Evidenz, dass eine SCIT bereits in der ersten Saison der Behandlung die Symptome einer saisonalen allergischen Rhinitis mindestens genauso gut kontrolliert wie die symptomatische Therapie". 

Ausgewertet wurden Meta-Analysen, die mindestens 5 randomisierte, doppelblinde, Placebo kontrollierte Studien einschlossen, zur SCIT, zum nasalen Kortikosteroid Mometasonfuroat, dem Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten Montelukast und dem Antihistaminikum Desloratadin (Abbildung Matricardi PM et al. J Allergy Clin Immunol 2011)

Gute Gründe dafür

Die AIT ist wirksam bei

  • IgE-vermittelter allergischer Rhinitis, Rhinokonjunktivitis mit oder ohne allergischem Asthma, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien haben gezeigt, dass die allergischen Symptome an Nase, Augen und Lunge sowie der Gebrauch an symptomatischer Medikation reduziert werden können.
  • kontrolliertem allergischen Asthma (GINA 2007) bzw. bei intermittierendem und geringgradig persistierendem Asthma (GINA 2005), indem sie den Bedarf an inhalativen Kortikosteroiden bei Erhalt der Asthmakontrolle reduziert. Aufgrund der Studienlage wurde die AIT in die aktuelle deutsche S2k Asthma-Leitlinie sowie die nationale Versorgungsleitlinie für Asthma von 2018 als Therapieoption in die medikamentösen Stufenschemata für Erwachsene, Kinder und Jugendliche aufgenommen, sofern eine entsprechende Indikation gegeben ist.

Sie hat

  • langfristige Effekte, da der Therapieeffekt noch lange über die Dauer der AIT hinaus anhalten kann. 
  • präventive Effekte, indem sie vor der Entwicklung eines Asthmas bei Vorliegen einer allergischen Rhinitis, dem sogenannten Etagenwechsel schützen kann.
  • präventive Effekte, indem sie die Entwicklung von Neu-Sensibilisierungen verhindern kann.

Sie kann

  • die Lebensqualität der Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis verbessern.

Sie ist

  • "bei sachgerechter Applikation, indikationsbezogener Patientenselektion und Durchführung in einer mit dieser Therapieform erfahrenen Praxis/Klinik sicher und gut verträglich" (AIT Leitlinie, Pfaar et al. 2022)
  • auf längere Dauer betrachtet kosteneffektiver als die symptomatische Therapie bei allergischer Rhinitis und allergischem Asthma.

Indikation

Indikation für die Durchführung einer AIT:

  1. Vorliegen einer moderaten bis schweren intermittierenden oder persistierenden allergischen Rhinitis/Rhinokonjunktivitis und/oder zumindest teilkontrolliertem allergischem Asthma und zusätzlich bei Patienten mit leichteren Symptomen mit dem Behandlungsziel eines krankheitsmodifizierenden Effektes und bei Vorliegen von 2) und 3).
  2. korrespondierende klinisch relevante Sensibilisierung
  3. Beschwerden trotz symptomatischer Therapie und/oder Karenzmaßnahmen
  4. Nachweis der Wirksamkeit für Indikation und Altersgruppe 

Tabelle: Klassifizierung der allergischen Rhinitis nach ARIA (Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma). (mod. n. Bousquet J et al. J Allergy Clin Immunol 2001; Scadding GK et al. Clin Exp Allergy 2017)

Effektivität erhöhen 

Bestimmte Parameter haben einen Einfluss auf die Effektivität der AIT mit inhalativen Allergenen. Dazu zählen unter anderem 

  1. optimale therapeutische Dosis
  2. hohe kumulative Dosis
  3. Qualität der Allergenextrakte
  4. Einsatz von Präparaten, die aus einzelnen Allergenarten oder einer Mischung aus einer homologen Gruppe (gleiche botanische Familie) bestehen (bei Patienten mit einer Allergie auf Gräserpollen, Baumpollen oder Hausstaubmilben)
  5. gute Compliance und Adhärenz
    Compliance und Adhärenz der Patienten spielen eine wichtige Rolle, da die AIT über mindestens 3 Jahre durchgeführt werden sollte, um eine optimale Wirksamkeit und auch Langzeiteffekte zu erreichen. Ein Abbruch der AIT vor Vollendung der 3 Therapiejahre und/oder eine von der Herstellerempfehlung abweichende Einnahme bzw. Applikation der Allergenextrakte kann die Wirkeffekte deutlich mindern. Die Adhärenz der Patienten scheint bei der SLIT (sublinguale Immuntherapie) niedriger zu sein als bei der SCIT.

Verträglichkeit

Bei der SCIT treten an der Einstichstelle häufig Rötungen und/oder lokale Reaktionen auf, die sich durch Kühlung oder die Anwendung von topischen Kortikosteroiden oder systemischen Antihistaminika behandeln lassen. Systemische Nebenwirkungen treten seltener auf. Sie können leichte bis schwere Formen annehmen und die Haut, den Gastrointestinaltrakt, die oberen und unteren Atemwege oder das Herz-Kreislauf-System betreffen und lassen sich gut behandeln.

Potenziell lebensbedrohliche systemische Reaktionen sind bei der SCIT bei Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen (siehe Liste Risikofaktoren unten) sehr selten. Für die Jahre 1991 bis 2000 berichtete das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) über eine relative Häufigkeit von schweren systemischen Reaktionen nach 0,0005 % bis 0,01 % der Injektionen für modifizierte Semidepot-Präparate (Allergoide) und zwischen 0,002 % bis 0,0076 % für unmodifizierte Semi-Depotpräparate. Eine Analyse der Meldungen dieser schweren systemischen Reaktionen ergab, dass circa 37 % potenziell vermeidbar gewesen wären. 

Bei Auftreten einer schweren Nebenwirkung unter einer SCIT ist nicht zu empfehlen, einen Wechsel auf ein SLIT-Präparat vorzunehmen, da auch hier das Risiko für eine potenzielle schwere systemische Reaktion besteht.

Eine Prämedikation mit Antihistaminika kann das Ausmaß lokaler Reaktionen sowohl bei der SCIT als auch bei der SLIT vermindern, allerdings reduziert sie nicht das Risiko für systemische Reaktionen. 

Schwere systemische Reaktionen unter der AIT sind teilweise durch Risikofaktoren erklärbar. Zu diesen zählen unter anderem

  • hoher Sensibilisierungsgrad/ Sensibilisierung gegen Tierallergene oder Pollen 
  • Vorliegen eines unkontrollierten, ungenügend behandelten Asthmas
  • eine vorhergehende Episode einer anaphylaktischen Reaktion während der AIT
  • aktuelle allergische Symptome/ Allergenexposition (auch durch Weglassen antisymptomatischer Medikamente)
  • akute Infekte, Mastzellerkrankung oder erhöhte Tryptase
  • Anwendung von β-Blockern 
  • körperliche Belastungsfaktoren (z. B. starke körperliche Anstrengung, Saunabesuch, übermäßiger Alkoholkonsum, unangemessene Kreislaufbelastungen)
  • unangemessene Dosissteigerung oder Überdosierung des Allergenextraktes
  • bei der SCIT: ungeeignete Injektionstechnik, z. B. intravasale Teilapplikation

Kontraindikationen

Die hier genannten Kontraindikationen basieren auf der aktuellen deutschsprachigen Sk2-Leitlinie AIT 2022. Für die individuellen Präparate können jedoch abweichende oder zusätzliche Kontraindikationen vorliegen, die gemäß der Fach- und Gebrauchsinformationen bei der Anwendung bindend sind:

  • unkontrolliertes oder schweres Asthma. Nach Überführung eines unkontrollierten in ein (teil)-kontrolliertes Asthma durch Optimierung der antiasthmatischen Therapie ist prinzipiell eine AIT möglich. Bei Exazerbation eines Asthmas unter einer AIT sollte die AIT unterbrochen werden und eine Wiederaufnahme erst dann erfolgen, wenn durch eine angepasste Asthmatherapie eine Asthmakontrolle erreicht wurde.  
  • aktive Formen einer systemischen Autoimmunerkrankung sowie eine Therapie mit Immunsuppressiva (wegen vermuteter Wirkminderung auf die AIT).
  • chronische Infektionen (unbehandelt) (z. B. HIV, Hepatitis C);
  • maligne neoplastische Erkrankung mit aktuellem Krankheitswert;
  • schwere systemische Reaktionen WAO Grad 4 (schwerer Bronchospasmus, Laryngeales Ödem mit Stridor) und 5 (Atemstillstand, Kollaps, Ohnmacht) bei Durchführung einer AIT in der Vergangenheit;
  • Schwere psychiatrische Erkrankungen und unzureichende Adhärenz; 
  • Schwangerschaft: vor allem der Beginn einer AIT, da eine anaphylaktische Reaktion sowohl für die Mutter als auch den Fötus lebensbedrohliche Folgen haben kann; eine Fortführung der AIT ist bei einer lebensbedrohlichen Allergie durch Insektengifte (Biene, Wespe) ratsam und bei einer Therapie mit Aeroallergenen u.U. möglich;
  • im Speziellen für die SLIT: akute oder chronische Entzündungen der Mundhöhle mit schweren Symptomen und entzündliche Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes wie eosinophile Ösophagitis.

Eine Medikation mit Betablockern (systemisch oder lokal, wie Ophthalmika) wurde lange als Kontraindikation für eine SCIT geführt, wird inzwischen aber als relative Kontraindikation im Falle der Insektengiftallergie angesehen, da Studien keine Risikoerhöhung für schwere Nebenwirkungen unter eine Insektengift-SCIT bei gleichzeitiger Behandlung mit Betablockern zeigte. Gemäß der deutschsprachigen AIT-Leitlinie wird vermutet, dass für AT-II-Blocker ähnliches gilt.

Auch ACE-Hemmer galten früher als absolute Kontraindikation für eine AIT, da einzelne Fälle einer schweren Hypotonie bei allergischer Reaktion während einer AIT mit Insektengiftpräparaten berichtet wurden. Dagegen konnten neuere Studien nicht bestätigen, dass ACE-Hemmer das Risiko für Nebenwirkungen unter einer Insektengift-SCIT erhöhen. Entsprechend werden heute ACE-Hemmer nicht mehr als absolute Kontraindikation für eine AIT geführt.
 

Durchführung der SCIT 

Praktisch 

Folgende Voraussetzungen empfehlen sich für Praxen/Kliniken, in denen Patienten mit einer AIT behandelt werden sollen:

Ärzte

  • Erfahrung in der Diagnose und Differentialdiagnose der allergischen Rhinitis
  • (Zusatz)-weiterbildung Allergologie oder ausreichende Erfahrungen mit der AIT
  • Erkennen und Behandeln von schweren systemischen Reaktionen einschließlich einer Anaphylaxie

Personal

  • trainiert in der Behandlung von schweren allergischen Reaktionen

Praxis

  • Räumlichkeiten, in denen die Patienten für mindestens 30 Minuten nach der AIT beobachtet werden können
  • Erste-Hilfe-Equipment verfügbar

Vor Beginn einer AIT sind Patient oder die Eltern des zu behandelnden Kindes aufzuklären über 

  • Alternativen zur AIT
  • Erfolgsaussichten
  • Empfohlene Therapiedauer von mindestens 3 Jahre (Adhärenz und Persistenz)
  • Mögliche Nebenwirkungen
  • Ablauf in der Praxis (Termine, Wartezeit nach der Injektion)
  • Qualifikation und Erreichbarkeit der Praxis
  • Erforderliche Verhaltensweise

Eine schriftliche Patienteninformation über die Durchführung der AIT („Therapieinformationsblatt“) sollte dem Patienten ausgehändigt und besprochen werden. Eine schriftliche Einwilligung des Patienten ist empfehlenswert. Die Aufklärung und Beratung sollten dokumentiert werden.

Es wird empfohlen, eine AIT für mindestens 3 Jahre durchzuführen, da die Effektivität von der kumulativen Allergendosis abhängt. Bei Restbeschwerden oder Dosisreduktionen während der Therapie kann diese individuell verlängert werden. Bei einem Nicht-Ansprechen auf die Therapie („Non-Responder“) nach einem, spätestens nach zwei Jahren, sollten Diagnose und Indikation kritisch überprüft werden. In einzelnen Fällen kann es sinnvoll sein, das Präparat zu wechseln oder eine präsaisonale Pollen-AIT auf eine perenniale Therapie umzustellen. Auch ein Therapieabbruch kann eine Option sein.

„Hyposensibilisierungsimpfstoffe zur Injektion dürfen nur durch allergologisch weitergebildete bzw. allergologisch erfahrene Ärzte verschrieben und angewendet werden.“ (Paul-Ehrlich-Institut, Bescheid vom 5. April 1995).

Wirkmechanismus

Wirkmechanismus der AIT auf zellularer Ebene (basierend auf Palomares O et al. Immunol Rev 2017; Shamji MH, Durham SR. J Allergy Clin Immunol 2017; Fujita H, et al. Clin Transl Allergy 2012; Larché M, et al. Nat Rev Immunol 2006; 6(10):761–71)

Der Wirkmechanismus der AIT ist vielfältig und komplex und die AIT wirkt über verschiedene Vorgänge. Allerdings ist der detaillierte Mechanismus bis heute noch nicht vollständig aufgeklärt.

Die dendritischen Zellen verarbeiten die Allergene zu Fragmenten (Peptide), die einen Komplex mit Molekülen auf dem MHC Klasse II bilden. Dieser Komplex wird auf der Oberfläche der dendritischen Zellen präsentiert und wird von naiven T-Zellen über ihre T-Zell-Rezeptoren erkannt. Im Gegensatz zu dem natürlichen Allergen, welches eine Differenzierung von T-Zellen in Th2-Zellen bei allergieanfälligen Personen induziert, passt die bei der AIT verabreichte hohe Allergendosis die Funktion der dendritischen Zellen zugunsten einer Umorientierung des Immunsystems in Richtung einer mehr balancierten oder einer Th1-Antwort. Dies führt zu einer Abnahme der Th2-Zytokine wie IL-4, IL-5, IL-9 und IL-13. Ein weiterer wichtiger Schritt während der AIT ist die Bildung von allergenspezifischen T-regulatorischen (Treg)-Zellen, die in der Lage sind, antientzündliche Zytokine wie IL-10 und TGF-ß sowie B-regulatorische (Breg)-Zellen zu produzieren. Treg-Zellen hemmen die allergenspezifische IgE-Produktion und induzieren eine IgG4-Produktion in den B-Zellen. B-Zellen fördern zusätzlich die Produktion von IgG1-, IgG4- und IgA-Antikörpern. 

Allergenspezifisches IgG, insbesondere IgG4, konkurriert mit IgE um die Allergenbindung, da sie gegen die gleichen Epitope gerichtet sind. Dieses verhindert die Kreuzvernetzung der hochaffinen IgE-Rezeptoren an Basophile und Mastzellen, was zu einer Reduzierung der Histaminausschüttung und der Degranulation führt. Dieses resultiert wiederum in einer Abnahme der Schleimproduktion, der Bronchokonstriktion und der Gefäßpermeabilität, sodass die allergischen Symptome reduziert werden. Die Hemmung der Gefäßpermeabilität vermindert abermals die Rekrutierung von Effektorzellen in das Gewebe der allergischen Reaktion, sodass die Entzündung des Gewebes reduziert wird. Außerdem unterdrücken die Treg-Zellen die allergische Antwort durch Unterdrückung der Mastzellen, Basophilen und Eosinophilen wie auch der T-Effektorzellen. Darüber hinaus können Treg-Zellen mit residenten Gewebezellen interagieren und zum Remodelling des Gewebes beitragen. 

Für die immunologischen Veränderungen während der AIT wurde eine Chronologie beobachtet. In der Regel beginnt mit der ersten Injektion eine Abnahme der Mastzellen- und Basophilendegranulation und eine abnehmende Tendenz für systemische Anaphylaxien. Anschließend werden allergenspezifische Treg-Zellen gebildet und die Bildung von Th2-Zellen, vermutlich ebenso der Effektorzellen, wird unterdrückt. Ein früher Anstieg und eine sehr späte Abnahme des spezifischen IgE-Spiegels treten auf. Insbesondere der Spiegel der IgG4-Antikörper steigt relativ früh an, der abhängig von der applizierten Dosis ist. In einigen Studien ist auch eine Zunahme der Spiegel an allergenspezifischem IgG1 und IgA zu beobachten. Nach mehreren Monaten sinkt das Verhältnis von allergenspezifischem IgE und IgG4. In der relativ späten Phase der SCIT kommt es zu einer signifikanten Reduktion der Hauttestreaktivität. Eine Verringerung der Mastzellen im Gewebe, der Anzahl an Eosinophilen und der Mediatorfreisetzung sowie eine Abnahme der Spätreaktion ist nach einigen Monaten zu beobachten.

Für die AIT besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung in Bezug auf die klinische Wirksamkeit, der immunologischen Reaktion und der Sicherheit.

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